Vom Buchhändler zum EU-Kommissar – Martin Schulz tritt für die SPD als Spitzenkandidat bei der Europawahl an

Als den „Bodenständigen" unter den 25 einflussreichsten Deutschen in Brüssel hat ihn im vergangenen Jahr ein Wirtschaftsmagazin eingestuft. Jetzt will Martin Schulz, sozialdemokratischer Europa-Abgeordneter, nach 14 Jahren im Brüsseler EU-Parlament erneut zur Wahl antreten. Das SPD-Präsidium in Berlin nominierte den 52-Jährigen gestern erneut zum Spitzenkandidaten für die Europawahlen im Juni 2009. Dabei machte SPD-Chef Kurt Beck klar, dass er Schulz weiterhin als EU-Kommissar durchdrücken will, auch wenn die Union inzwischen Anspruch erhebt, den Posten von Günter Verbeugen mit einem der Ihren zu besetzen.
Als Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament ist der gebürtige Eschweiler ein viel gefragter Interviewpartner. Ins Rampenlicht gerückt hat ihn zu allererst aber nicht seine Funktion, sondern ein Zwischenfall, der sich 2003 im Vorfeld seiner Nominierung zum SPD-Spitzenkandidaten abspielte. Schulz hatte damals dem amtierenden EU-Ratspräsidenten und italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi bei dessen Antrittsbesuch im Plenum Verstöße gegen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vorgeworfen. Woraufhin der Italiener konterte, Schulz solle doch lieber die „Rolle eines Kapo in einem KZ-Film" übernehmen. Der Schlagabtausch zog diplomatische Verwicklungen nach sich. Heute wird Schulz nicht mehr gern auf den Streit angesprochen, denn eigentlich ist ihm die Sacharbeit wichtiger. In Bezug auf Berlusconi wäre ihm lieber gewesen, die Öffentlichkeit hätte sich mehr mit den fragwürdigen Instrumenten von dessen Machtpolitik befasst als mit den verbalen Entgleisungen.
Als Schwergewicht stufte ihn das Magazin „Impulse" auch ein, weil Schulz einmal eingenommene Positionen nur selten verlasse. Das musste etwa Jose Manuel Barroso spüren, der im Herbst 2004 im ersten Anlauf als designierter EU-Kommissionspräsident seine Personalvorschläge wegen des Widerstands der Sozialdemokraten nicht durchsetzen konnte. Schulz erinnerte gestern daran, dass der designierte Justiz- und Innenkommissar, der Italiener Rocco Buttiglione, unter dem Druck seiner Fraktion auf das Amt verzichtet habe.
Schulz, der ursprünglich Buchhändler gelernt hat und elf Jahre Bürgermeister seiner Heimatstadt Würselen war, mahnt seit längerem „Fehlentwicklungen" in der EU-Kommission an. Aus seiner Sicht haben Deregulierungsstrategien" und ökonomische Gewinnaspekte die Oberhand über das Ziel der sozialen Stabilität gewonnen. Er fordert, dass alle Richtlinien künftig von einer „sozialen Folgenabschätzung" begleitet werden. Sollte die Kommission einer solchen Regelung nicht zustimmen, werde seine Fraktion der neuen Personalriege nicht zustimmen, warnte er gestern. Schulz war ein Verfechter der gescheiterten EU-Verfassung und wirbt weiter für die Verabschiedung des Lissabonner Vertrages. Nach dem Nein der Iren zu dem Regelwerk hatte er die Vollmitgliedschaft des Landes in der Europäischen Union in Frage gestellt.
Das gemeinsame Frühstück mit der Familie in Würselen gehört zur Tagesroutine für den Politiker, bevor er in Aachen morgens um sieben in den Zug nach Brüssel steigt. Sein Europaengagement begründet Schulz auch mit der geografischen Nähe zu zwei Ländergrenzen, an denen er aufgewachsen ist. Seit 1974 ist er Mitglied der SPD und hat inzwischen Sitz im Bundesvorstand sowie im Präsidium als beratendes Mitglied.

Martin Schulz