Nur wenig Licht dringt durch die Fenster ins Innere. Deswegen sorgt ein Scheinwerfer für die nötige Helligkeit. Leisen Absprachen folgt ein Hall in dem großen Raum. „Ist alles gut verschnürt?", möchte einer der jungen Männer wissen. „Es kann losgehen", sagt sein Kollege und gibt ein Zeichen nach oben. Auf der Empore der Alfterer Pfarrkirche steht Hans-Wolfgang Theobald und drückt den entscheidenden Knopf auf der Fernbedienung. Der Chef-Restaurator der Bonner Orgelwerkstatt Klais verfolgt, wie der Kran seine Ladung in Bewegung setzt, sie – durch Nylon-Seil und Haken gesichert – Meter für Meter in die Höhe hievt. Dann greifen der 54-Jährige und seine Mitarbeiter zu. Das Herzstück der generalüberholten Orgel ist angekommen. Seit gestern Mittag steht der neue Spieltisch, an dem bald Kirchenmusiker Engelbert Hennes in die Tasten greifen wird, auf der Empore von Sankt Matthäus.
Schon lange galt die Orgel aus dem Baujahr 1941 als Sorgenkind: kurzatmig, weil der Blasebalg aus Leder, der für die Luft in den Pfeifen sorgte, porös war und altersschwach, weil die gesamte elektrische Anlage nicht mehr so funktionierte, wie sie sollte. „Außerdem war es im Inneren des Instruments einfach zu eng", berichtete Engelbert Hennes, der gestern zusah, wie sein neues Arbeitsgerät geliefert wurde. Da die Orgel früher keinen Stimmgang hatte, standen die Register dicht beieinander. Wenn Hennes an eine der rund 2 000 Pfeifen heran wollte, musste er auf 20 Zentimeter schmalen Brettern balancieren, manchmal klettern. „Ganz schön gefährlich", sagt er jetzt, im Nachhinein. Auch musste er ständig auf Überraschungen gefasst sein. So kam es häufig vor, dass er ein für den Gottesdienst geplantes Stück nicht spielen konnte, weil das betreffende Register ausgefallen war.
Das soll in Zukunft nicht mehr passieren. Seit April haben sich die Fachleute der Firma Klais um die Restaurierung der Orgel gekümmert. Die Pfeifen aus Zinn und Zink wurden abtransportiert, in der Bonner Werkstatt gereinigt, instand gesetzt oder gleich erneuert. Statt früher 26 Register, verfügt die Orgel jetzt über 28. Und worüber Hennes sich besonders freut: Einzelne Registerkombinationen lassen sich an dem neuen Spieltisch abspeichern, so dass der Organist bei Bedarf programmierte Trompeten- oder Flötentöne erklingen lassen kann. Die technische Anlage, die laut Hans-Wolfgang Theobald „immer mal wieder vor dem Kollaps stand", wurde auf den neuesten Stand gebracht. Dort, wo früher Kabelsalat zwischen Spieltisch und den Windladen im Inneren der Orgel herrschte, werden die Tastenbefehle jetzt digital übertragen.
Auch für die Optik des Instruments haben die Orgelbauer einiges getan. Das ganze, anthrazit gestrichene Gehäuse auf der Empore wurde um 80 Zentimeter erhöht. „So sehen die Kirchenbesucher unten im Schiff die Orgel einfach besser", sagt Hennes. Gemeinsam mit Dechant Rainald 011ig hat er sich seit über fünf Jahren um die Instandsetzung der Orgel bemüht.
Ursprünglich wollte die Gemeinde ein neues Instrument einbauen lassen. Fachmann Hans-Joachim Theobald war jedoch dafür, sie zu erhalten. Aber auch die sparsamere Lösung ist ganz schön teuer. 220 000 Euro fließen allein in die Restaurierung, weitere 20 000 werden laut Hennes an Nebenkosten fällig. Etwa 168.000 Euro sind schon durch Spenden zusammengekommen: Mal gab der Organist ein Benefizkonzert, mal warf die Frauengemeinschaft 5 000 Euro in den Topf. Hinzu kamen Kollekten und Einzelaktionen. Da das Erzbistum Köln 40 000 Euro zugesagt hat, fehlen jetzt noch rund 32.000. Bis zum Oktober die letzte Rechnung für die Restaurierung fällig wird, hofft Hennes noch auf weitere Spenden.
Die Orgel auf der Westempore von Sankt Matthäus wurde im Jahr 1941 von der Aachener Firma Stahlhuth erbaut. Während des Zweiten Weltkriegs gab es starke Reglementierungen für den Instrumentenbau. Da das übliche Material, Zinn, für die Waffenindustrie verwendet wurde, griff man als Ersatz zu Zink. Bis jetzt wurde die Orgel erst einmal, im Jahr 1964, in Teilen restauriert.
Kurz gefragt:
Hans-Wolfgang Theobald ist als Leiter der Restaurierungsabteilung in der Bonner Orgelbauwerkstatt Klais verantwortlich für den Wiederaufbau des Instruments in der Pfarrkirche Sankt Matthäus. Mit dem promovierten Kirchenmusiker sprach Margit Warken.
GA: Der Neubau einer Orgel an Sankt Matthäus hätte ihrer Firma über 500.000 Euro beschert. Für die Restaurierung gibt es „nur" 220.000 Euro. Sie haben sich dennoch für die billigere Lösung ausgesprochen. Warum?
THEOBALD: Stimmt, bei einer neuen Orgel hätten wir mehr Umsatz gemacht. Trotzdem wäre es falsch gewesen, das alte Instrument aufzugeben. Wir haben den Eindruck gewonnen, dass die Orgel ein Stück Alfterer Identität ist und den Leuten etwas an ihr liegt.
GA: Was macht die Orgel außer ihrem emotionalen Wert für die Gemeinde noch erhaltenswert?
THEOBALD: Die Tatsache, dass sie die einzige so alte und erhaltene Stahlhuth-Orgel in Bonn und der Umgebung ist. Es gibt zwar eine weitere von der gleichen Firma in der Gegend, aber die ist wesentlich jünger, aus den 1970erJahren.
GA: Wie gefällt Ihnen als Fachmann die alte Orgel an Sankt Matthäus?
THEOBALD: Ich finde sie charmant, freundlich und schön. Auch wenn sie mit ihrem neobarocken Klangbild und den vielen Obertönen nicht mehr den heutigen Vorstellungen entspricht.
GA: Was sind denn die heutigen Vorstellungen in Sachen Orgel- und Kirchenmusik?
THEOBALD: Die heutigen Orgeln sind viel lauter als die in Sankt Matthäus, die eher hell und leise klingt. Dadurch bietet sie einen Kontrast zum Lautstärke-Overkill, den wir heute oft erleben.